• Wie finanziert sich der Handel?

    frei[handels]zone - Wien, 1. Juni 2015

Wie finanziert sich der Handel? - jetzt und in Zukunft

Gute Finanzierungskonditionen sind für einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort eine wichtige Voraussetzung - gerade für den Handel. Allerdings fesseln Regulatoren heimische Banken, wodurch die Suche nach der passenden Finanzierung zu einem Spießrutenlauf werden kann. Wie sich Handel und retail-relevante Startups finanzieren können, war Thema der frei[handels]zone. Fünf hochkarätige Experten aus Wirtschaft und Finanz diskutierten über Engpässe und Zukunftsvisionen der Branche.

Durch die Veranstaltung führte der Geschäftsführer des Handelsverbands, Rainer Will. Die BesucherInnen folgten der Diskussion im Handelsverband darunter Christian Prokopp (Christian Prokopp GmbH), Andreas Hammerl (Palmers Textil AG), Martin Kowatsch und Norbert Steinwidder (Das Futterhaus), Marie Béatrice Fröhlich (Zur Brieftaube GesmbH) und Walter Tanzer (Reclay Österreich GmbH) sowie Dominik Stepan und Gernot Süssenbacher (Erste Group Bank AG). Abschließend bot sich bei einem Cocktailempfang die Gelegenheit zu ausführlichem Networking.

Sprecher

Josef Pretzl

Geschäftsführer, Thalia Buch & Medien GmbH

Bernhard Sagmeister

Geschäftsführer, Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft mbH

Herbert Tempsch

Senior Vice President, Deputy Head of  Financing & Advisory, UniCredit Bank Austria AG

Rainer Will

Geschäftsführer, Handelsverband, Wien
Ende 2014 übernahm Will die Geschäftsführung im Handelsverband. Zuvor war er im Kabinett von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Mitterlehner als wirtschaftspolitischer Berater und beim Austria Wirtschaftsservice (aws) tätig. Überdies sammelte Will jahrelang in der Privatwirtschaft Erfahrung. Er studierte Betriebswirtschaft an der WU Wien und der London School of Economics.

Werner Wutscher

Gründer und Geschäftsführer, New Venture Scouting – St. Paul GmbH
Der gebürtige Kärntner Werner Wutscher studierte Rechtswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität in Graz und an der Harvard Universität. 2013 gründete er die Investmentboutique New Venture Scouting mit dem Ziel die Welten von etablierten Unternehmen und Startups zu verbinden. Werner Wutscher ist aktiver Business Angel und an acht Start up-Unternehmen beteiligt. Er ist Experte für Nachhaltigkeit, mit dem Fokus auf Retail und GreenTech. Zuvor war er 14 Jahre lang im Spitzenmanagement von Unternehmen wie Agrana Beteiligungs AG und REWE International AG und in der österreichischen Bundesverwaltung tätig.

Christian Zeidler

Geschäftsführer, IBB adaptive solutions GmbH

Nachbericht

Es geht ums Geld!“ mit diesem Statement begrüßte und eröffnete der Handelsverband-Präsident
Dr. Stephan Mayer-Heinisch die Veranstaltung. Das Thema ist für den Handel komplex, denn schließlich verfügt der Einzelhandel über kapitalintensive Infrastruktur und muss hohes Umlaufvermögen vorfinanzieren.

„Der Handel befindet sich in einer disruptiven Situation, wodurch es auch für neu entstehende Geschäftsmodelle etablierter Player Finanzierungslösungen im Handel braucht“, so Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands, der die Moderation des hochkarätigen Podiums übernahm und mit allen Anwesenden den Bogen von der Fremd- hin zur Eigenkapitalfinanzierung spannte.

Retail-Gründungen nehmen zu. Buntes Bündel an Finanzierungsangeboten für den Handel.
Bernhard Sagmeister, Geschäftsführer der Austria Wirtschaftsservice GmbH sieht die Förderbank des Bundes aufgrund zunehmend restriktiveren Regulierungen und steigenden Eigenkapitalerfordernissen bei Banken heute in einer sehr wichtigen Rolle, da kleine wie größere Unternehmen vor immer neuen Finanzierungsherausforderungen gestellt werden, um Investitionen aktiv umsetzen zu können.
Handelsunternehmen treffen bei der aws durch passgenaue Finanzierungsformen von der Gründungs- bis hin zur Wachstumsphase auf „offene Türen“, unterstrich Sagmeister.
Die Transformation der Wirtschaftssysteme durch Digitalisierung, Globalisierung und kürzere Innovationszyklen stellt auch den Handel vor neue Herausforderungen, wodurch es auch eine Änderung von bestehenden Geschäftsmodellen brauchen wird. Durch Kredite, Zuschüsse, Eigenkapital, Finanzierungscoaching, Investitions- sowie neuerdings auch Betriebsmittelgarantien können Handelsunternehmen unterstützt werden.
Die Förderungsprogramme sehen vor, dass der Markt stimuliert wird und sukzessive die Privatinitiative zurückkehrt, erklärte Sagmeister. Dass gerade innovative Startups dringend Kapital benötigen, zeigen laut Sagmeister, die Entwicklungen der letzten 12 Monate: 37.000 Startups wurden in Österreich gegründet, mit steigender Tendenz. Die aws finanziere davon rund 10 Prozent, wovon 30 Prozent der Handelsbranche zuzurechnen sind.

Traditionelle Lieferantenfinanzierung dominiert im Handel. Factoring gewinnt an Bedeutung.
Der Handel finanziere sich noch immer sehr traditionell, sprich über seine Lieferanten, so Herbert Tempsch, Senior Vice President, Deputy Head of Financing & Advisory der UniCredit Bank Austria AG, während Bankfinanzierungen im Vergleich zu anderen Wirtschaftssparten eine nachgelagerte Bedeutung haben. Wirkliche Innovationen sind nur sehr eingeschränkt feststellbar und hier gebe es je nach Handelssparte und Unternehmensgröße sehr unterschiedliche Entwicklungen. Für große Handelsunternehmen hat der Kapitalmarkt steigende Bedeutung. Auch Factoring-Lösungen für die Lieferantenseite nehmen zu.
Bei Startups sieht die Lage jedoch anders aus. Durch Basel 3 sollen die Banken krisensicher werden, das bedeutet somit auch weniger Flexibilität und geringere Investition in risikoreiche Geschäfte. „Crowdfunding eignet sich hierfür, ab einer gewissen Größe muss jedoch ein Ankerinvestor her“, so Tempsch, „sonst weiß man ja nicht mehr, mit wem man reden soll“.

Neue Finanzierungsformen für regionale Händler abseits der Bankenfinanzierung interessant.
Josef Pretzl, Geschäftsführer der Thalia Buch & Medien GmbH, zeichnet ein Bild, das nur für wenige Handelsfirmen repräsentativ ist: Das Unternehmen ist in der glücklichen und komfortablen Situation, komplett über Eigenkapital finanziert zu sein. Die Finanzentwicklungen und -krisen der letzten Zeit stellen gerade auch für den Handel schwierige Situationen dar, insbesondere was kurzfristige Finanzierungen für das Umlaufvermögen bedeutet. Dabei geht es weniger um die Konditionen, als um die Finanzierungssicherheit. Die Bedingungen dazu sind extrem unflexibel geworden. „Die Banken ersticken an Restriktionen! Das ist ein Problem, denn einerseits pumpt man Geld in die Märkte, durch die hohen Auflagen komme es aber nie an, obwohl es gerade jetzt dringend gebraucht wird!“ so Pretzl.
Gerade jetzt ist es interessant, über alternative Finanzierungen auch für den Handel innovativ nachzudenken. Mit dem neuen Alternativfinanzierungsgesetz wird Crowdfunding, also die Finanzierung von Firmeninvestitionen durch viele Kleinanleger, auf eine rechtliche Basis gestellt und damit vor allem für kleinere oder regionale Handelsformen interessanter, um private Stakeholder an das Handelsunternehmen zu binden.

Attraktivere Förderungen für Startup-Investoren um „hidden champions“ im Land zu halten.
Werner Wutscher, Geschäftsführer der New Venture Scouting und Leiter des Handelsverband-Ressorts „Innovation im Handel“ nimmt bei Startups im Handelsumfeld einen großen Zuwachs wahr, der sich in täglichen Anfragen niederschlägt. Aus der Perspektive eines jungen Unternehmens haben sich die Finanzierungsmöglichkeiten heute vervielfacht: Business Angels nehmen vor allem in der Frühphasen- und Brückenfinanzierung eine wichtige Rolle ein, Kreditvermittlungsplattformen bieten eine Alternative zu Banken und Crowdinvesting hat sich mit allen Vor- und Nachteilen etabliert. Kapitalsuchende und Investoren müssen je nach Unternehmensphase und Strategie optimal zusammengeführt werden. Es sei jedoch eine vollkommene Illusion zu denken, dass sich alle Finanzierungsprobleme damit lösen würden, so Wutscher, denn „wenn es komplexe Geschäftsmodelle sind, funktioniert Crowdfunding nicht mehr“.

Problematisch sieht Wutscher auch die Wettbewerbsfähigkeit des Landes, hier gehe es tendenziell bergab, wie auch das aktuelle IMD-Ranking in dem Österreich auf Platz 26 abgerutscht ist belegt. Wie es besser geht zeigen USA, China, Singapur und auch die Schweiz.
„Wenn gute Startups nach Amerika verkauft werden, haben wir ein grundsätzliches Problem“, so Wutscher. Auch in Frankreich, England und Skandinavien wurde das Potential von Startups erkannt. Neben direkten Förderungen werden auch potentielle Investoren gezielt angesprochen und Investments durch steuerliche Absetzbeträge attraktiviert. Für Wutscher ist der Weg klar: Es gilt Startups - die „hidden champions“ von morgen - zu halten, denn sie sind die Unternehmen von morgen und die Jobs der Zukunft.

Handelsunternehmen als Gatekeeper für Lieferanten am Weg zum Endverbraucher.
Für Christian Zeidler, Geschäftsführer der ibb adaptive solutions GmbH ergeben sich für den Beschaffungsbereich im Handel wertvolle Kooperationspotentiale mit Lieferanten, durch Maßnahmen zur Förderung des Absatzes, oder wenn der Händler in Maßnahmen zur Prozessverbesserung, zum Beispiel in der IT oder in der Logistik investiert, kann dies auch im Sinne der Kooperation mit dem Lieferanten einem gemeinsamen Ziel dienen“.
In diesen Fällen wären auch Lieferanten bereit, sich an den Investitionen des Händlers zu beteiligen oder gar diese zu finanzieren.  Für junge Unternehmen wäre es laut Zeitler optimal, sich einen bereits etablierten Partner, der den Markt bereits kennt, zur Seite zu Seite zu holen.