S+M City-Retail Healthcheck 2019: Wie steht es um die handelstechnische Verfassung der österreichischen Städte?

Handelsverband und Standort + Markt haben am 20. Februar zur gemeinsamen Pressekonferenz in Wien geladen.

Wien, 21.02.2019 - Seit 2013 erfasst Standort + Markt in den 20 größten Städten Österreichs einmal jährlich sämtliche Shopflächen – und das als einziges Beratungsunternehmen in Österreich unaufgefordert ohne Auftraggeber. Damit verfügt Standort + Markt über ein unabhängiges Monitoring zum Zustand und den Veränderungen der österreichischen Cities.

Der jährliche "S+M City-Retail Healthcheck" geht mittlerweile in seine sechste Runde. Durch die genaue Analyse der 22 größten innerstädtischen Geschäftsbereiche mit insgesamt 72,5 km Geschäftsstraßenlänge und 10.060 Shops auf 1,63. Mio m² Verkaufsfläche liegt eine sehr hohe Transparenz zum Shopflächen-Geschehen in den österreichischen Citys vor.

Shopflächen am Peak

Die Gesamtheit der City-Shopflächen ist heuer erstmals seit Beginn der Erhebungen 2013 nicht mehr gewachsen, sondern hat sich gegenüber dem Vorjahresbestand um 0,3 % reduziert. Dieser Wert ist zwar nicht alarmierend, flankiert aber trotzdem möglicherweise eine interessante Trendwende: Die Zeit der Expansion scheint vorüber zu sein.

Es entstehen zwar in Prima-Lagen nach wie vor Flächen, die durchaus ihre Abnehmer finden, gleichzeitig werden aber mancherorts ehemalige Shopflächen, die nicht mehr am Markt für Shops vermietet werden können, vom Markt genommen. Entweder bleiben diese ungenutzt oder sie werden anderweitig (etwa als Arztpraxis) verwendet. Derartige Bewegungen sehen wir etwa in Villach oder in Wiener Neustadt.

A-Lage wird flächenmäßig optimiert

Spannend zu beobachten ist, dass der Shopflächen-Index, also die Geschäftsfläche je Laufmeter in der Geschäftsstraße, seit Beginn der Aufzeichnungen zunimmt. Der Index liegt nun in der A-Lage bei 40,7 m² je einem Meter Straßenlänge, er hat sich in den vergangenen 5 Jahren um 5,2% erhöht.

Über die gesamten Innenstadtbereiche hinweg liegt der Index heute bei 22,5 m², analog zu den (geringfügigen) Shopflächen-Einbußen im Vorjahr hat sich auch dieser Wert erstmals geringfügig verringert (2017: 22,6 m² je Laufmeter).

E-Commerce torpediert Modeflächen

Der in den Vorjahren zu beobachtende Kahlschlag bei den Modeflächen geht munter weiter: Lag der Shopflächenanteil im Modehandel Ende 2013 noch bei 33,8 %, ist er jährlich um durchschnittlich 2,3 % auf derzeit nur mehr 31,5 % gefallen.

Es ist nun evident, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Shopflächenrückgang im Modesektor bei gleichzeitigem Wachstum des E-Commerce im Modebereich gibt. Das Unangenehme daran: Eine umfangreichere Schließungswelle im stationären Modehandel ist nicht auszuschließen, denn Mietverträge sind häufig nicht umgehend einseitig kündbar.

City-Implosion?

Wir gehen davon aus, dass sich das A-Lagen-Wachstum und die B/C-Lagen-Erosion (und damit insgesamt ein Shopflächenrückgang) fortsetzen werden. Dies hat langfristig zur Konsequenz, dass sich die Ausdehnung der Shopflächen über ein weitläufiges Stadtgebiet nicht mehr fortsetzen wird, sondern es im Gegenteil zu einer stärker wahrnehmbaren Shopflächen-Konzentration kommen wird.

B- und C-Lagen werden hinsichtlich ihrer Nutzbarkeit für Shops kritisch hinterfragt und tendenziell aus dem Shopflächen-Markt gedrängt, während A-Lagen ihre Flächennutzung intensivieren. Dies spiegelt sich auch in der immobilienwirtschaftlichen Realität wider: Wenn Flächennutzungen für Shops intensiviert werden, geschieht dies zwischenzeitlich primär in der A-Lage.

Kleine Citys – große Probleme

Insbesondere im Rahmen der ergänzenden Analysen von Standort + Markt zum Kleinstädtesample hat sich gezeigt, dass die 16 beobachteten Kleinstädte mit deutlich massiveren City-Leerstands-Themen zu kämpfen haben als die großen Citys. Die dokumentierten 22 größten Citybereiche weisen einen Leerstandsflächenanteil von durchschnittlich 5,1 % auf, während das 16 Citys umfassende Kleinstädte-Sample einen mehr als 3x so hohen Leerstands-Anteil aufweist: Leerflächen von durchschnittlich 16,8 % sind als Hilfeschrei zu werten.

Werte von über 15 % liegen in Bruck an der Leitha, Liezen, Knittelfeld, St. Veit an der Glan, Spittal an der Drau und Gmunden vor. Mit 50,4 % (Schließung des Einrichtungshauses Leiner) ist Bruck an der Mur momentan besonders stark unter Druck. Der projektierte Relaunch des Leiner-Objektes wird hier aber mittelfristig sicher maßgeblich zur Verbesserung der Gesamtsituation beitragen.

Lage hoffnungslos? Die großteils triste Lage des Kleinstädte-Samples dürfte symptomatisch für eine Heerschar von weiteren kleinen und mittelgroßen Bezirkshauptstädten sein. Die Shopflächen-Expansion an der Peripherie ist hier ein sehr wahrscheinlicher Treiber für die Tatsache, dass die Einzelhandelsfunktion der kleinen Citys als angeschlagen einzustufen ist.

Es gibt aber wohl noch weitere Hausaufgaben, die gewissenhaft in Angriff genommen werden müssen, um die kleinen Citys als attraktiven Standort für Shops wieder ins Rampenlicht zu rücken. Wesentlich sind die einzelnen Nutzungsschichten der Innenstädte, hier insbesondere jene Nutzungsschichten, die Bewegung von Menschen – also Frequenz – mit sich bringen.

Im Research-Fokus stehen daher zukünftig die Nutzungsschichten Wohnen, Arbeiten, Bildung, Kultur, Freizeit und Services. Diese Nutzungsschichten müssen zukünftig in der Innenstadt konzentrierter und konzertierter untergebracht werden, um eine vielschichtige Frequenz-Plattform im innerstädtischen Raum entstehen zu lassen. Wird die Frequenz sichtbar und spürbar, ist der Handel der erste, der davon Wind bekommt und wieder Interesse an Shopflächen zeigen wird.

City ohne Handel?

Horn macht es vor, folgen andere Städte? Im Westen der Stadt verfügt Horn über ein sehr umfassendes Angebot, die Shopflächen der City belaufen sich aber gerade einmal auf 10.500 m². Bemerkenswert ist hier, dass lediglich etwa die Hälfte der Shopflächen einzelhandelsmäßig genutzt werden, der Rest entfällt auf Gastronomie und Dienstleistung, und das bei einer geringen Leerstandsquote von 7,4 %.

Notfallmodus oder Neuausrichtung: Zahlreiche Kleinstädte werden zukünftig wohl genauer die Sinnhaftigkeit diverse Förderprogramme zur Innenstadtbelebung prüfen müssen. Wurde in Hinblick auf die Shopflächen in der City bereits zu viel an Boden an die Peripherie verloren? Mit welchen Angebotspunkten kommt man denn wirklich noch bei der lokalen Bevölkerung an? Viele Cities bemühen sich, doch der durchschlagende Erfolg bleibt mit "Pop Up Stores" & Co offenkundig aus.

Manche Citys könnten im Notfallmodus verharren, anstatt bereits frühzeitig mit einer Neuausrichtung des Angebotes zu beginnen. Dies erfordert allerdings richtige Investitionsbereitschaft, ein Umfärben von Parkbänken oder Slogans wie "Fahr nicht fort, kauf im Ort" reichen hier nicht aus.

Immobilienökonomie vs. Marketing: "Ohne Moos nix los!"

Mit primär marketingtechnisch getriebenen Innenstadtaktivitäten ist keine nachhaltige Veränderung des räumlichen Käuferverhaltens zu bewerkstelligen. Wenn überhaupt, dann können in der heutigen Situation am ehesten investitionsintensive Immobilienprojekte (Schaffung von hochfunktionalen Shopflächen in A-Lage) und/oder Infrastrukturmaßnahmen (Parkraum, Verkehrswegenetz etc.) die Bewegungsmuster der Konsumenten nachhaltig verändern.

Die derzeit richtigen Fragen sind: Gibt es geeignete Flächen für Immobiliengroßprojekte in der City? Was kann und muss in die Infrastruktur investiert werden, um eine ähnliche Convenience wie am Stadtrand herzustellen?

Fazit des Handelsverbandes

Zuerst die gute Nachricht: Die Umsätze des stationären Handels steigen in Österreich auch auf der Fläche nach wie vor leicht an und viele Händler setzt mutig auf Digitalisierung. Die weniger gute Nachricht: Die Umsätze im eCommerce wachsen derzeit 10mal so schnell wie auf der Fläche. Und mehr als 60% der Online-Umsätze fließen unmittelbar ins Ausland ab, ein Großteil zu Amazon.

Die Folge? Es braucht hierzulande weniger stationäre Flächen. In den vergangenen 10 Jahren ist die Anzahl der Geschäfte in Österreich deutlich zurückgegangen: um -20% auf zuletzt 37.400. Allerdings ist die Fläche im gleichen Zeitraum nur um -2,8% geschrumpft und zuletzt sogar stabil geblieben.

Verbraucher kaufen dort ein, wo es bereits viel Angebot gibt

Einen starken Rückgang verzeichnet der österreichische Handel heute vor allem in wenig frequentierten Nebenlagen. Dieser Rückgang wird durch ein Flächenwachstum bei Einkaufszentren und  Fachmarktagglomerationen aufgefangen, wo es zuletzt ein Wachstum von rund 100.000 Quadratmetern pro Jahr gegeben hat.

Die Verbraucher kaufen also vermehrt dort ein, wo es bereits viel Angebot gibt. A-Lagen mit viel Frequenz legen weiter zu, die anderen verlieren. Wir gehen davon aus, dass der Leerstand in den B­ und C-Lagen weiter steigen wird.

Halo-Effekt als Herausforderung

Ein tatsächlicher Strukturwandel aufgrund des boomenden eCommerce ist derzeit allerdings nur in einigen ausgewählten Branchen erkennbar. Das gilt insbesondere für den Buchhandel und die Mode.
Im Bekleidungshandel liegt die Onlinequote in Österreich bei 22 Prozent, ein absoluter Top­-Wert im digitalen Bereich. Modegeschäfte sind die angestammte Bastion der Innenstädte, aber sie kommen durch den eCommerce unter Beschuss und ihr Flächenanteil ist seit Jahren rückläufig.

Spannend ist in diesem Zusammenhang der sogenannte Halo-Effekt: So führt eine starke stationäre Präsenz im Handel dazu, dass die Kunden in derselben Region auch online vermehrt bei diesem Händler einkaufen. Der Effekt gilt aber auch umgekehrt: Wer seine stationären Geschäfte schließt, muss auch mit Online-Umsatzeinbußen rechnen.

Grundsätzlich gilt: Der Handel hält natürlich weiterhin am Wunsch fest, auch in Innenstädten – egal ob groß oder klein – stationäre Geschäfte zu betreiben und präsent zu sein. Es herrscht allerdings ein funktionales Ungleichgewicht zwischen City-Standorten und anderen Alternativen.

Was benötigt der Handel, dass er den Standort City wieder als spannend einstuft? Was sind die Hausaufgaben der Cities?

  • Moderne zeitgemäße Shopflächen (nicht verwinkelt, akzeptabler Säulenraster, adäquate Schaufensterfront, ebenerdige bis maximal eingeschossige Shopflächen)
  • Keine Notwendigkeit, bauliche Adaptierungsmaßen selbst durchführen zu müssen
  • Problemlose Anlieferung
  • Solide Anfahrbarkeit (effiziente Zufahrt, Parkmöglichkeiten)
  • Abgestimmte Ladenöffnungszeiten
  • Eine Ansprechperson im Anmietungsprozess
  • Zeitgemäße Mietvertragsgestaltung mit fairen Konditionen

Was erwartet der Handel von der Politik?

  • "FairCommerce" (gleiche Spielregeln für alle, auch für den Online-Handel)
  • Reform der Raumordnung
  • Ausbau der Tourismuszonen (insb. mit Fokus Wien)
  • Eingriffe in Einkaufsstraßen nur mit Augenmaß und stets mit Einbeziehung der Händler
  • Gezielte Leerstandsbekämpfung

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Kontakt

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.

Mag. Gerald Kühberger, MA
Communications Manager
gerald.kuehberger@handelsverband.at
+43 (1) 406 22 36-77