Digitaler Binnenmarkt

Stellungnahme des Handelsverbandes zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt [COM (2015) 627]

Wien, 13.01.2016 – Der Handelsverband äußert Bedenken zum Vorschlag der Europäischen Kommission zur Erlassung einer Verordnung zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten, insbesondere da die auf die Diensteanbieter zukommenden Kosten nicht abschätzbar sind und die Verordnung einen großen Eingriff in die Vertragsfreiheit und damit in die freie Marktwirtschaft bedeutet. Zudem ist der Begriff des „vorübergehenden Aufenthaltes“ nicht hinreichend definiert.

Der Handelsverband möchte festhalten, dass er einen funktionierenden digitalen Binnenmarkt als große Chance für den österreichischen Handel sieht und dies in seinem Wirken und seiner Kommunikation seit Bekanntwerden der Strategie laufend zum Ausdruck bringt. Insbesondere sei das Potenzial angesichts ständig steigender Wachstumsraten im Online-Handel bzw.
E-Commerce zu berücksichtigen. Maßnahmen die einen wettbewerbsfähigen Binnenmarkt gewährleisten, werden stets die Unterstützung des Verbandes finden.

Das Anliegen der Verordnung scheint auf den ersten Blick den aktuellen Entwicklungen des Marktes entgegenzukommen: Tatsächlich ist es so, dass die Nutzung von Online-Inhalten durch die Bevölkerung stetig steigt und viele Nutzer, die ein Abonnement bei einem Diensteanbieter haben, dieses auch gerne bei einem vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nutzen wollen. Der Vorschlag jedoch will die Diensteanbieter zwingen, diese Form der Nutzung zu ermöglichen. Das „Argument“ in der sich aus dieser Zurverfügungstellung ergebenden Kostenfrage lautet, dass die aus einem anderen Mitgliedstaat erfolgten Zugriffe als aus dem Wohnsitzmitgliedstaat erfolgt gelten, wodurch bestehende Gebietslizenzen nicht beeinträchtigt wären.

Es ist jedoch nur schwer vorstellbar, dass die Rechteinhaber diese faktische Ausdehnung von Gebietslizenzen hinnehmen werden, ohne ein höheres Entgelt zu verlangen. Die Kommission selbst räumt in ihrer Begründung ein, dass die potentiell entstehenden Kosten im Zusammenhang mit den vertraglichen Vereinbarungen nur schwer abschätzbar (S.8) sind. Nur weil die vorgeschlagene Verordnung keine Neuverhandlung fordert, bedeutet dies nicht, dass die Rechteinhaber dies nicht tun.

Wenn die Diensteanbieter mehr Kosten für den Rechtserwerb aufwenden müssen, wird sich dies in dem von den Abonnenten verlangten Nutzungsentgelt niederschlagen und so dazu führen, dass die Verbraucher, die die Verordnung eigentlich fördern will, im Endeffekt benachteiligt sind. Der Vorschlag übersieht auch, dass die Verbraucher derzeit die Wahl haben, einen seine Dienste auf den Wohnsitzmitgliedstaat beschränkenden (und dafür günstigeren) Diensteanbieter zu wählen oder aber für ein höheres Entgelt eine weitreichendere Nutzung zu vereinbaren.

Abgesehen von den faktischen Nachteilen ist auch die Formulierung der Verordnung nicht hinreichend klar. So ist etwa der Begriff des „vorübergehenden Aufenthalts“ nicht näher definiert. Gerade in Zeiten, in denen Auslandsaufenthalte von Schülern und Studenten gefördert werden und junge Menschen vielfach europäische Länder bereisen, stellt sich die Frage, für welchen Zeitraum ein Aufenthalt als „vorübergehend“ anzusehen ist: Ist davon nur ein eher kurzer Aufenthalt von bis zu zwei Wochen, oder aber etwa auch der Aufenthalt während eines Auslandssemesters, vielleicht sogar während eines mehrjährigen Auslandsstudiums, umfasst? Eine Klarstellung ist hier unbedingt erforderlich.

Ein weiteres, praktisches Problem stellt die Überprüfungsmöglichkeit der Rechteinhaber nach Art 5 Abs 2 dar. Ein Diensteanbieter schließt in der Regel mit einer Vielzahl von Rechteanbietern Verträge ab. Wenn nur ein Bruchteil von diesen eine Überprüfung verlangt, würde das zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand und damit wieder zu enormen Kosten führen. Selbst wenn die Verordnung bestimmt, dass die zur Überprüfung verwendeten Mittel zumutbar sein müssen, so ist doch nicht festgelegt, welche Vorgehensweisen als zumutbar anzusehen sind und welche nicht.

Schließlich ist die nach Art 3 Abs 3 an die Diensteanbieter gestellte Anforderung, ihren Abonnenten die Qualität der bereitgestellten Inhalte bei einem Abrufen aus anderen Mitgliedstaaten bekanntzugeben, nicht durchführbar, da die Diensteanbieter auf die jeweiligen Übermittler (Internet-Provider) in den jeweiligen Mitgliedstaaten angewiesen sind. Je nach Mitgliedstaat und Provider kann es hier zu sehr unterschiedlichen Werten kommen.

Nach Auffassung des Handelsverbandes ist es dem Wettbewerb zumutbar, dass Angebote unterschiedlichster Ausprägungen – und damit unterschiedlichster Entgeltvarianten – bestehen bleiben. Die Erfahrung zeigt, dass sich der Markt selbst reguliert. Wenn Abonnementen eine umfassendere Nutzung wünschen, wird es Diensteanbieter geben, die diese anbieten. Nutzer, die hingegen den Fokus auf ein niedriges Entgelt legen bzw.  keine Nutzung in anderen Mitgliedstaaten benötigen, werden sich für ein auf die Nutzung im Wohnsitzmitgliedstaat beschränktes Angebot, zu für sie günstigeren Konditionen, entscheiden. Nicht nur den Diensteanbietern und Rechteinhabern, sondern auch den Verbrauchern sollte diese Wahlmöglichkeit erhalten bleiben.

Der Handelsverband freut sich auf die zeitgerechte Einbindung zur Umsetzung der österreichischen „Digital Roadmap“ durch die verantwortlichen Ressorts und Gremien der Bundesregierung, um das Know-how einzubringen, das durch seine Mitglieder – rund 100 mittlere und große Handelsunternehmen, die in Österreich mit ca. 100.000 Mitarbeitern an über 8.000 Standorten einen Jahresumsatz von rund 20 Mrd. Euro erzielen – gespeist wird. Nur durch Berücksichtigung von Stakeholdern aus der Praxis und deren Spezifika, kann der digitale Binnenmarkt als nationale Chance genutzt werden, um einen positiven Beitrag für den heimischen Wirtschaftsstandort und dessen Marktteilnehmer zu erzielen.

Rückfragehinweis

Handelsverband
Andreas Weigl
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