Handelsverband & KMU Forschung Austria präsentieren "Jahrbuch Handel 2021": Österreichs Handel bleibt trotz Pandemie Wirtschaftsmotor & zweitgrößter Arbeitgeber.
Corona-Update: Normalisierung der Umsätze nach 2G-Ende bleibt noch aus. Ukraine-Krise: 1/3 der österreichischen Händler vor Ort betroffen. 50% erwarten deutliche Kostensteigerungen & weitere Lieferverzögerungen.
Wien, 03.03.2022 - Der Handel ist und bleibt für die österreichische Wirtschaft von zentraler Bedeutung, so lautet die Botschaft des brandneuen JAHRBUCH HANDEL 2021, das der Handelsverband heute gemeinsam mit der KMU Forschung Austria präsentiert hat. Das Booklet liefert die umfassendste Datenanalyse des österreichischen Handels, zeigt neueste Zahlen zur Branchenstruktur, Umsatz- und Personalentwicklung sowie zur Rentabilität und Wertschöpfung:
- Im Gesamtjahr 2020 waren 77.700 Unternehmen mit 598.600 unselbstständig Beschäftigten in der Handelsbranche (Einzelhandel, Großhandel, Kfz-Handel) tätig.
- Gemeinsam erzielten sie 266,3 Milliarden Euro an Umsätzen sowie eine Bruttowertschöpfung von knapp 39 Milliarden Euro.
- Der Einzelhandel kommt auf 41.990 Unternehmen mit insgesamt 330.680 Beschäftigten und einem Umsatz von 74,8 Milliarden Euro (2021). Davon entfallen 35% auf den Lebensmitteleinzelhandel.
- Im EU-Vergleich kommt Österreich bei der Zahl der Beschäftigten auf Platz 9 (Platz 1: Deutschland mit 5,98 Mio. Beschäftigten) und beim Umsatz auf Platz 8 (Platz 1: Deutschland mit 2,03 Billionen Euro).
Handel ist umsatzstärkster Wirtschaftsbereich & zweitgrößer Arbeitgeber des Landes
"Der Handel stellt in Österreich die meisten Unternehmen der marktorientierten Wirtschaft (23%) und ist der umsatzstärkste Wirtschaftsbereich (34%). Er ist aber auch der zweitgrößte Arbeitgeber und schultert fast ein Fünftel der gesamten Wertschöpfung des Landes. Wir sind ein wirtschaftlicher Riese, aber in der politischen Wahrnehmung ein Zwerg", fasst Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will die volkswirtschaftliche Bedeutung der Branche zusammen.
"Mehr als die Hälfte (55%) der Beschäftigten im Handel sind Frauen, die Teilzeitquote liegt bei rund 36%. Der Handel ist auch ein wichtiger Arbeitgeber für Migrantinnen und Migranten, mehr als ein Viertel der Mitarbeitenden haben Migrationshintergrund", ergänzt Wolfgang Ziniel, Projektleiter der KMU Forschung Austria.
Corona als Sargnagel für den Modehandel
Im Jahresverlauf 2015 bis 2019 hat sich der Handel dynamisch entwickelt und damit wesentlich zum Wachstum der österreichischen Wirtschaft beigetragen. Mit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 hat der positive Trend allerdings ein abruptes Ende gefunden. Die Zahl der Handelsunternehmen ist allein im ersten Pandemiejahr um rund 5% gesunken, jene der Beschäftigten um fast 2%. Die Umsätze sind 2020 um 4% eingebrochen.
"2021 hat sich die wirtschaftliche Situation wieder verbessert. Sowohl die Zahl der Beschäftigten als auch die Umsätze im Handel sind über das Vor-Corona-Niveau geklettert. Dabei müssen allerdings die hohen Preissteigerungen (+10%) im Großhandel beachtet werden. Im Einzelhandel sind die Netto-Umsätze nicht-inflationsbereinigt von 70 Milliarden (2019) auf 74,8 Milliarden Euro (2021) angestiegen", so Wolfgang Ziniel.
Also trotz Corona alles Roger im Einzelhandel? Mitnichten! "Inflationsbereinigt haben die Einzelhandelsumsätze 2020 im Vergleich zu 2019 stagniert, auch 2021 gab es nur ein minimales Umsatzwachstum. Zweitens hat die Pandemie eine dramatische Verschiebung von Stationär zu Online ausgelöst. Drittens ist Umsatz nicht gleich Gewinn. Viele Händler mussten sich das Geld in der Kassa durch ungesunde Rabattaktionen teuer erkaufen. Und viertens waren die einzelnen Branchen ganz unterschiedlich von der Krise betroffen. Am schlimmsten hat es den Mode- und Schuhhandel sowie die Spielwarengeschäfte erwischt", stellt Rainer Will klar.
Pandemie-Update: Erhoffte Zuwächse bei Umsatz & Kundenfrequenz bleiben (vorläufig) aus
Am 12. Februar 2022 hat die Bundesregierung die 2G-Regelung im Handel aufgehoben. Seither dürfen wieder alle Menschen mit FFP2-Maske - aber unabhängig von ihrem Impfstatus - im heimischen Handel einkaufen. Was die Umsätze und Kundenfrequenzen betrifft, waren die ersten Tage nach der Öffnung durchaus positiv - allerdings war dies vor allem dem Valentinstag geschuldet.
"Seit dem Valentinstag verzeichnen die meisten Geschäfte wieder stagnierende oder sogar leicht rückläufige Umsatzzahlen. Laut unserer jüngsten Händlerbefragung haben die Umsätze in den letzten zwei Wochen im Branchenschnitt um 4% und die Kundenfrequenzen um 1% nachgelassen. Daran konnte auch die Umstellung von 2G auf 3G in der Gastronomie und Hotellerie am 19. Februar nichts ändern", bilanziert Will.
Aus Sicht des Handelsverbandes sind vier Faktoren dafür verantwortlich:
- Negative Konsumstimmung (Stichwort: Ukraine-Konflikt)
- Inflation knabbert an der Kaufkraft der Bevölkerung (massiv gestiegene Kosten für Energie, Treibstoff, Miete, etc. trüben die Shopping-Laune)
- Omikron-Welle (zuletzt waren zeitweise eine halbe Million Österreicher:innen in Quarantäne)
- Viele Ungeimpfte machen den Handel für die Spaltung der Gesellschaft und die wochenlange Diskriminierung im "Lockdown für Ungeimpfte" mitverantwortlich, sie kaufen fast nur noch online.
Es bleibt abzuwarten, ob die anstehenden Öffnungsschritte ab 5. März eine positive Wirkung auf die Verkaufszahlen im stationären Handel entfalten können.
Ukraine-Krieg: 1/3 der heimischen Handelsbetriebe direkt betroffen
Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine werden allerdings selbst diese Herausforderungen zum Nebenschauplatz. Denn was jahrzehntelang unvorstellbar war, ist letzte Woche traurige Realität geworden: Russland hat einen Angriffskrieg gegen das zweitgrößte Land Europas gestartet. Die EU hat darauf mit harten Wirtschaftssanktionen reagiert. Was dieser Krieg in der Ukraine für ganz Europa bedeutet, welche Auswirkungen der heimischen Wirtschaft drohen und worauf der Handel jetzt besonders achten muss, hat der Handelsverband in einer Blitzumfrage erhoben.
Die gute Nachricht vorweg: Zumindest für den österreichischen Handel halten sich die negativen Folgen in Grenzen. Zwei Drittel der Händler:innen sind eigenen Angaben zufolge nicht vor Ort vom Ukraine-Krieg betroffen.
- Von den befragten Handelsbetrieben haben weniger als ein Zehntel eigene Geschäfte in der Ukraine und/oder in Russland (9%).
- 21% haben allerdings wichtige Lieferanten oder Produzenten in den beiden Ländern.
- Ein Fünftel bedient Kund:innen vor Ort (z.B. im eCommerce/Versandhandel).
In puncto "indirekte Betroffenheit" sieht die Lage wie folgt aus:
- 13% verzeichnen bereits kriegsbedingte Lieferverzögerungen bzw. Lieferengpässe.
- 17% verzeichnen in manchen Produktbereichen teils massive Kostensteigerungen (z.B. Speiseöl).
- 50% erwarten in den kommenden Wochen massive Kostensteigerungen und Lieferverzögerungen.
- 65% befürchten, die wirtschaftlichen Folgen werden mehrere Jahre lang spürbar sein.
83% unterstützen HV-Vorschlag, ukrainischen Kriegsflüchtenden vorläufigen Aufenthaltstitel zu geben
Das Wichtigste ist nun, rasch zu helfen, die Menschen in der Ukraine brauchen dringend Unterstützung. Hilfe kann unterschiedlich ausgestaltet sein, sei es durch finanzielle Mittel, Sachspenden, durch die Aufnahme von ukrainischen Flüchtenden oder - langfristig gesehen - mit Arbeitsplätzen.
"83% der heimischen Handelsunternehmen unterstützen den Vorschlag des Handelsverbandes, Kriegsflüchtenden aus der Ukraine in der EU einen vorläufigen Aufenthaltstitel zu geben, damit sie auch unbürokratisch im Land arbeiten und sich hier in einem sicheren Umfeld ihren Lebensunterhalt verdienen dürfen", sagt Rainer Will.
Ein Notfallplan der EU-Kommission sieht hierzu vor, dass Flüchtlinge aus der Ukraine vorerst zwei Jahre lang in der Europäischen Union bleiben können. Geht es nach den Plänen von Kommissionspräsidentin von der Leyen, sollen Betroffene zunächst 24 Monate lang auch das Recht haben zu arbeiten und die jeweilige Gesundheitsversorgung zu beanspruchen.
Drei politische Empfehlungen des Handelsverbandes
Abgesehen von der Ukraine-Krise hat der Handelsverband angesichts der zahlreichenden wirtschaftspolitischen Herausforderungen 3 konkrete Empfehlungen an die heimische Politik entwickelt:
- Kurzfristig: Rasche und treffsichere Auszahlung der Corona-Entschädigungen an betroffene Unternehmen.
- Mittelfristig: Bekämpfung von "Financial Long Covid" durch zusätzliche eigenkapitalstärkende Maßnahmen.
- Langfristig: Ein New Deal zur Ankurbelung der Kaufkraft der Bevölkerung und zur Entlastung der Handelsbetriebe. Hierzu zählen die Abschaffung der kalten Progression, eine substanzielle Senkung der Lohnnebenkosten sowie strukturelle Einsparungen im staatlichen und staatsnahen Bereich als Gegenfinanzierung.