Lebensmittelgipfel: Handel setzt sich trotz Kostenlawine weiter für Konsument:innen ein. Wirksame Lösungen von Regierung gefordert.

Unterstützungsleistungen für Sozialeinrichtungen werden vorangetrieben. Politik darf Zivilgesellschaft nicht überfordern und muss bei Teuerungsbekämpfung an der Wurzel ansetzen – bei Inputfaktoren!

Wien, 08.05.2023 - Der Handelsverband hat beim heutigen Lebensmittelgipfel mit Vizekanzler Kogler, Sozialminister Rauch und Landwirtschaftsminister Totschnig sowie zahlreichen Vertreter:innen der gesamten Lebensmittel-Lieferkette erneut unterstrichen, dass man bei der aktuellen Preisdiskussion „Ursache“ und „Wirkung“ unterscheiden muss. „Ursache“ sind ganz klar die massiv gestiegenen Energiekosten, zum Teil deutlich höhere Personal-, Finanzierungs-, Logistik- und Rohstoffpreise sowie alle indexbasierten Kosten wie Mieten, die in 2023 erstmals voll durchschlagen.

Bundesregierung gefordert: Preistreiber in die Pflicht nehmen

Gerade bei Grundnahrungsmitteln geht die Unterstellung einer "Gierflation" des Lebensmitteleinzelhandels (LEH), wie sie immer wieder in den Raum gestellt wird, völlig ins Leere und entbehrt jeglicher Faktenbasis. Um die Teuerung in den Griff zu bekommen, muss endlich bei der Wurzel angesetzt werden: Wesentliche Kosten- und damit Preistreiber für Haushalte und Händler bleiben die Energieversorger, welche die günstigen Börsenpreise für Energie nicht weitergeben und vielfach durch Jahresbindungen die Teuerung einzementieren wollen. Gleichzeitig schütten sie die höchsten Dividenden ihrer Unternehmensgeschichte aus. Durch die EZB-Zinserhöhungen haben Banken die Tilgungsraten für Kredite in schwindelerregende Höhen geschraubt.

Es ist auch zu eindimensional, in der politischen Diskussion nur auf das letzte Glied vor den Konsument:innen zu schielen und globale börsennotierte Nahrungsmittelkonzerne, Molkereien und Bündelbetriebe aus der landwirtschaftlichen Produktion als wichtige Vorstufen der Lebensmittelwertschöpfungskette in der Analyse einfach außen vor zu lassen. Richtigerweise wird dies zumindest bei der aktuellen Sektor-Analyse durch die Bundeswettbewerbsbehörde in den Blick genommen.

Will die Bundesregierung in puncto Teuerung tatsächlich etwas für die Menschen im Land spürbar verbessern, dann besteht vor allem bei den Inputfaktoren, welche die Preissteigerungen beeinflussen, unmittelbarer Handlungsbedarf – der vom Handelsverband seit Monaten aufgezeigt wird.

Heimischer Lebensmittelhandel kämpft mit realem Umsatzrückgang

"Den Händlern, den Nahversorgern der Bevölkerung, geht es gleich wie den Haushalten in unserem Land. Die Kostenlawine überrollt uns und wirksame Lösungen gegen die Verursacher wurden nicht gesetzt. Stattdessen wird nun Ursache mit Wirkung vertauscht. Viele Nahversorger stehen das nicht mehr lange durch. Keine einzige Studie zeigt, dass sich der Handel an der Inflation ein Körberlgeld verdient, vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Die Preiserhöhungen im Handel sind ausschließlich kostengetrieben", sagt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

Der Handel ist und bleibt ein Garant für erschwingliche Produkte in guter Qualität. "Im ersten Quartal 2023 musste der österreichische Lebensmittelhandel jedoch einen realen Umsatzrückgang von 1,1% verkraften, im Vorjahr lag der reale Verlust sogar bei -3,2%. Viele selbständige Kaufleute stehen daher mit dem Rücken zu Wand. Die Branche federt sogar einen Teil der Teuerung auf Kosten der eigenen Marge ab, viele machen deutliche Verluste. Politische Unterstützungen und Reformen bleiben hingegen rar", bestätigt Will.

Preissteigerungen bei Lebensmitteln in Österreich weit unter EU-Schnitt

Auch kürzlich veröffentlichte Zahlen von Eurostat zeigen klar, dass die Preissteigerungen in Österreich bei Lebensmitteln im EU-Vergleich deutlich niedriger sind als in allen Nachbarstaaten. Österreich liegt EU-weit im untersten Drittel, was die Veränderung der Preise zwischen März 2022 und März 2023 betrifft – obwohl bei uns die Energieabhängigkeit von russischem Gas deutlich höher als in anderen EU-Ländern ist. Hierzulande haben sich die Lebensmittelpreise im Jahresvergleich um 14,6% erhöht, während sowohl Deutschland als auch der EU-Schnitt bei über 20% liegt.

Diese Zahlen belegen, dass der heimische Lebensmittelhandel ausschließlich die gestiegenen Herstellungs- und Vertriebskosten weitergibt – und dies in einem deutlich geringeren Ausmaß als in den meisten anderen EU-Ländern. Auch aktuelle Zahlen der UniCredit Research belegen dies.

Händlereigenmarken vs. Industriemarken – Vergleich der relativen Erhöhungen hinkt

Bei Preissteigerungen werden in der Berichterstattung oftmals nur die prozentualen Erhöhungen von Industriemarken und Händlereigenmarken gegenüberstellt. Für einen fairen Vergleich wären allerdings die Absolutwerte heranzuziehen. Ein Beispiel: Wenn bei einem Marken-Mehl der Preis von ursprünglich 1,49 EUR um 50 Cent angehoben wird, entspricht das einer Steigerung von 34%. Wenn nun bei einem Eigenmarken-Mehl der Preis von ursprünglich 0,49 EUR ebenfalls um 50 Cent angehoben wird, ergibt sich ein Anstieg von 102%. Auf den ersten Blick scheint die prozentuale Erhöhung beim Eigenmarken-Mehl unverhältnismäßig hoch, dabei ist die absolute Preiserhöhung identisch mit jener beim Marken-Mehl, weil auch die Preissteigerungen für Rohstoffe, Verpackung, Energie und Personal ident sind.

Fakt ist, der österreichische Lebensmittelhandel bietet gerade durch seine Eigenmarken für jede Geldbörse erschwingliche Produkte in guter Qualität an. Bei Eigenmarken aus dem Grundnahrungsmittelbereich fallen steigende Produktionskosten aufgrund der knappen Kalkulation und der niedrigeren Preise naturgemäß stärker aus als bei höherpreisigen Markenartikeln. Der Handel spart bei seinen Eigenmarken u.a. an den Kosten für die Vermarktung, dafür fallen teurer gewordene Rohstoffe und andere Herstellungskosten prozentuell stärker ins Gewicht.

Preistransparenz: Händler verstärken auf Websites freiwillig Hinweise auf günstige Eigenmarken-Produkte

Die vier großen Lebensmitteleinzelhändler (SPAR, REWE, HOFER, LIDL Österreich) ergreifen freiwillig eine weitere Initiative, um die gelebte Preistransparenz weiter zu verstärken. Sie werden u.a. die Hinweise und damit die Vergleichbarkeit der Preise bei Lebensmittel-Eigenmarken auf den Websites der Händler verbessern. Darüber hinaus soll für die Dauer der Inflationskrise eine Liste mit den Verkaufspreisen der 20 bis 30 günstigsten Preiseinstiegsprodukte freiwillig wöchentlich an das Sozialministerium übermittelt werden. Dies wurde den Vertreter:innen der Bundesregierung im heutigen Lebensmittelgipfel auch zugesichert.

Verbesserung der Rahmenbedingungen für bestehende Unterstützungsleistungen für Sozialeinrichtungen

Darüber hinaus will der Lebensmittelhandel auch sein sozialpolitisches Engagement bei der Unterstützung von Sozialeinrichtungen und Tafeln weiter forcieren, etwa bei der Weitergabe von Lebensmitteln und der Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung. Aktionen knapp vor dem Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums oder der reduzierte Verkauf von Brot vom Vortrag gehören mittlerweile zur üblichen Praxis im Handel. Die kostenlose Weitergabe von Lebensmittel an Sozialorganisationen wie die Wiener Tafel stellt ebenso einen integralen und wichtigen Bestandteil des Alltags dar. Heimische Lebensmittelgeschäfte, in deren Umgebung es eine Tafel oder einen Sozialmarkt gibt, arbeiten seit Jahren eng mit diesen zusammen - freiwillig, effizient und ohne gesetzlichen Zwang.

Sinnvoll wäre darüber hinaus eine stärkere (finanzielle) Unterstützung der Sozialeinrichtungen beim Direktbezug von überschüssigen Lebensmitteln ab Hof. "Unser gemeinsames Ziel muss sein, dass insbesondere armutsbetroffene sowie armutsgefährdete Menschen auch von den Vorstufen des Lebensmitteleinzelhandels künftig mehr Unterstützung bekommen", fordert Handelssprecher Rainer Will.

"Die Bundesregierung darf die soziale Abfederung der Teuerung gleichzeitig nicht noch stärker auf die Zivilgesellschaft abwälzen. Nichts anderes sind die Tafeln und die Händler, deren Zusammenarbeit seit Jahren exzellent funktioniert, um Armut und Leid zu reduzieren. Darüber hinaus spendet der Lebensmittelhandel auch an andere karitative Einrichtungen Beträge in Millionenhöhe", so Will.

Sozialorganisationen brauchen mehr Rechtssicherheit

Aus rechtlicher Sicht sind Tafeln und Sozialmärkte hierzulande als Inverkehrbringer zum Endkonsumenten zu sehen - mit allen lebensmittelrechtlichen Pflichten. Die Möglichkeiten dieser Sozialorganisationen, die entsprechenden Vorgaben insbesondere hinsichtlich Qualitätskontrollen und Lebensmittelsicherheit einzuhalten, sind jedoch nicht mit jenen von Lebensmittelhändlern zu vergleichen.

In einigen Nachbarländern gibt es daher die gesetzliche Regelung, dass Sozialorganisationen nicht für Mängel von Produkten haftbar gemacht werden können, die sich nach bestem Wissen weitergegeben haben. In Österreich ist der Handel aktuell steuer- und lebensmittelrechtlich gezwungen, bei der Weitergabe von Lebensmitteln in einem Graubereich zu agieren. So müssen Lebensmittel vor der Weitergabe als Verderb deklariert werden, um die Vorsteuer anwenden zu können. Bedingung dafür wäre allerdings, dass die Waren nicht mehr verkäuflich/verkehrstauglich sind. Damit dürften sie aber auch nicht mehr über Sozialeinrichtungen in Verkehr gebracht werden. Dieser rechtliche Graubereich muss künftig klarer geregelt werden.

Drängende Reformen bleiben aus, der versprochene Energiekostenzuschuss für den Handel auch

Welchen Hebel gibt es sonst noch, um die Preise mittelfristig zu senken? Ein wichtiger Schritt wäre ein treffsicherer Energiekostenzuschuss (EKZ), von dem nicht nur die Industrie profitiert. Die hohen Energiepreise haben nämlich dazu geführt, dass heimische Nahversorger pro Standort für Kühlung und Betrieb im Schnitt statt 40.000 Euro nun an die 200.000 Euro zahlen müssen.

Aufgrund der Tatsache, dass die heimischen Handelsbetriebe bisher komplett auf ihren massiv gestiegenen Energiekosten sitzenbleiben (da der EKZ 1 de facto ein reiner Industriekostenzuschuss war), wird es ohne rasche Hilfe bis Jahresende in bis zu 1.000 österreichischen Orten keinen Nahversorger mehr geben. In Gemeinden wie Lassing, Sölk, Kirchdorf oder Ried/Riedmark und vielen mehr ist das leider bereits Realität. Hier ist die Bundesregierung dringend gefordert, mit dem versprochenen EKZ 2 gegenzusteuern.

Abseits der Diskussionen um die Reduktion der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel sind vor allem Reformen im Bereich Arbeitsmarkt umzusetzen, damit der krisenfeste Versorger und Jobmotor Handel seiner Rolle weiterhin in allen Regionen Österreichs gerecht werden kann. Der Handlungsbedarf ist überfällig, fundierte politische Lösungen sind willkommen.

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