Regierungsprogramm vorgestellt: Handelsverband bietet Unterstützung an und hofft auf rasche Umsetzung der Reformvorschläge

Das neue Jahr hat erfreulicherweise mit der Angelobung der neuen Bundesregierung begonnen. Weg von der bloßen Verwaltung, stehen nun wieder einige große Reformen an.

Das Regierungsprogramm 2020-2024 "Aus Verantwortung für Österreich" beinhaltet neben zahlreichen Empfehlungen aus dem Handelsverband-Zukunftspaket "Jetzt gemeinsam Handel[n]" einige weitere konkrete Maßnahmen für die Handelsbranche, die der Handelsverband und seine Mitglieder in Gesprächen im Vorfeld der Regierungsbildung eingebracht haben.

Aus Sicht des Handelsverbandes hat das 326 Seiten umfassende Regierungsprogramm durchaus das Potenzial, den Wirtschaftsstandort Österreich voranzubringen, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, den heimischen Handel zu stärken und damit die Arbeitsplätze in unserem Land zu sichern – ohne dabei auf die Bekämpfung des Klimawandels, der größten Herausforderung unserer Generation, zu vergessen.

EIN ÜBERBLICK ÜBER DIE HANDELSRELEVANTEN VORHABEN

Verwaltung und Entbürokratisierung

Überreglementierung ist ein Hemmnis für mehr Arbeitsplätze

Eine Vielzahl von Deregulierungs-, Entbürokratisierungs- und Harmonisierungsmaßnahmen wurden im Regierungsprogramm verankert und auch die langjährigen Forderungen nach einer Verstärkung des One-Stop-Shops-Prinzips und einer Reduktion der Meldepflichten finden sich wieder.

Positiv ist zudem die geplante Reform des Verwaltungsstrafrechts und die angestrebte Harmonisierung der Bautechnikordnungen in den Bundesländern.

  • Einführung einer Bürokratiebremse, damit Regulierung kein Selbstzweck ist (Informations-, Melde- und Aushangpflichten sollen evaluiert werden).
  • Verstärkte Schaffung von auch Gebietskörperschaften übergreifender One-Stop-Shops für Bürgerinnen bzw. Bürger und Unternehmerinnen bzw. Unternehmer.
  • Umsetzung des Once-Only-Prinzips für Unternehmen, um Datenmeldungen zwischen Unternehmen und Verwaltung zu verringern: Alle relevanten unternehmensbezogenen Daten sollen Verwaltungsbehörden nur einmal kommuniziert werden müssen und ab dann bei unterschiedlichen Behördenwegen automatisiert abrufbar sein.
  • Reduktion der (Einzel-)Meldepflicht für Unternehmen durch automatisierte Übermittlung von meldepflichtigen Daten von der Sozialversicherung an die Statistik Austria und das Bundesministerium für Finanzen unter Wahrung des Datenschutzes.
  • Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die Deregulierungspotentiale erhebt und für die Umsetzung verantwortlich ist, einschließlich des Verwaltungsstrafrechtes.
  • Reform des Kumulationsprinzips im Verwaltungsstrafrecht.
  • Widersprüche bereinigen: Die Bundesregierung verpflichtet sich zu einer gesamthaften Prüfung relevanter Vorschriften für Unternehmen, um mögliche Widersprüche in unterschiedlichen Bereichen (z.B. Arbeitsrecht, Hygienevorschriften, Bauordnung etc.) zu harmonisieren, ohne eine Verwässerung von sinnvollen Standards.
  • "Beraten vor strafen" umsetzen: Es soll das Ziel der Verwaltung sein, Fehlverhalten zwar zu bestrafen, aber es im besten Fall gar nicht dazu kommen zu lassen, in dem man Unternehmerinnen und Unternehmer dabei unterstützt, regelkonform zu arbeiten.
  • Gold-Plating reduzieren: Nationale Verschärfungen über EU-Vorgaben, die keine sachliche Rechtfertigung haben, gilt es zu vermeiden bzw. zu reduzieren.
  • Erarbeitung eines Konzepts, um möglichst viele nicht durch EU-Vorgaben notwendige Betriebsbeauftragte freiwillig zu stellen.
  • Statistische Abgaben/Informationspflichten für Unternehmen sollen sich stärker an EU-Vorgaben orientieren.
  • Die Länder werden aufgefordert, Bautechnikverordnungen zu harmonisieren, damit die bautechnischen Vorschriften künftig für Unternehmen, die länderübergreifend arbeiten, anwenderfreundlicher, einfacher und klarer gestaltet sowie insgesamt reduziert werden können.
  • Prüfung, ob handelsübliche Überbegriffe bei Warenbezeichnungen (z.B. Obst, Gemüse) bei den Registrierkassen beibehalten werden können, um vor allem kleine und mittlere Händlerinnen und Händler zu entlasten. Mögliche Verlängerung der bestehenden Ausnahmen.
  • Rechtssicherheit in der Abgrenzung von Selbständigkeit und Dienstverhältnissen.

Steuern und Steuerbetrug

In kaum einem westlichen Land ist die Lohn- und Abgabenquote höher als in Österreich

Eine Reduktion dieser Quote sowie mehr Transparenz durch Ausweis der gesamten Personalkosten "Brutto vom Brutto" waren längst überfällig. Mehr Kaufkraft lässt zudem die Senkung des Einkommensteuertarifs der ersten, zweiten und dritten Stufe erhoffen.

Positiv ist auch das Bekenntnis, gegen Steuerbetrug vorgehen zu wollen – vorausgesetzt es bleibt nicht nur bei einem Bekenntnis und es folgen auch Taten. Vor allem dem Missbrauch des europäischen Umsatzsteuersystems (Sichtwort: Umsatzsteuerkarussell) muss schnellstmöglich ein Riegel vorgeschoben werden, weshalb wir die Einführung des Reverse-Charge-Systems zwischen Unternehmen befürworten.

Die Einführung einer digitalen Betriebsstätte auf OECD-Ebene ist ebenso eine dringliche Maßnahme, die forciert werden muss, um globale Steuergerechtigkeit wiederherzustellen.

  • Senkung der Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40%.
  • Prüfung der Potenziale zur Senkung der Lohnnebenkosten ohne Leistungsreduktion.
  • KöSt-Entlastung auf 21%.
  • Senkung des Einkommensteuertarifs der ersten, zweiten und dritten Stufe: von 25% auf 20%, von 35% auf 30% und von 42% auf 40%.
  • Abschaffung der Mindestkörperschaftsteuer prüfen, um besonders KMUs zu entlasten.
  • Schaffung der Möglichkeit, die Belegschaft am Gewinn zu beteiligen.
  • Abschaffung der Schaumweinsteuer und Senkung des USt-Satzes für Damenhygieneartikel.
  • Erhöhung der Freigrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG) auf 1.000 Euro, mit Ziel einer weiteren Erhöhung auf 1.500 Euro für GWG mit besonderer Energieeffizienzklasse.
  • Verpflichtende Anführung der Dienstgeberabgaben am Lohnzettel.
  • Bekenntnis konsequent gegen internationale Steuerverschiebungen bzw. gegen jede Art von Missbrauch, Steuerbetrug und Steuervermeidung vorzugehen, und Steuerrückstände effizient einzubringen.
  • Festhalten an der eingeführten digitalen Konzernsteuer, zumindest bis internationale Gespräche (auf Ebene der EU und der OECD), die Österreich unterstützt, zur Einführung einer digitalen Betriebsstätte signifikante Fortschritte erzielen.
  • Reverse-Charge-System: Österreich wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass nicht nur national, sondern auch international alle Möglichkeiten der Steuervermeidung und des Steuerbetrugs unterbunden werden. Das derzeit gültige Umsatzsteuersystem in der Europäischen Union bietet sehr viele Möglichkeiten für Betrügerinnen und Betrüger. Durch die Einführung des Reverse-Charge-Systems zwischen Unternehmern – in dem Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schulden – könnte diese Betrugsmöglichkeit wirksam bekämpft werden.
  • Digitale Plattformökonomie in Österreich fair gestalten: Innovation aus dem In- und Ausland fördern und zulassen, aber Wettbewerb mit traditionellen Geschäftsmodellen fair gestalten (vor allem regulative und steuerliche Schlupflöcher schließen).

Kreislaufwirtschaft

Umweltschutz darf kein Lippenbekenntnis bleiben

Ressourcenschonendem, umweltbewusstem Wirtschaften sowie einem sorgfältigen Umgang mit Abfällen werden hohe Priorität im Regierungsprogramm eingeräumt. Negativ hervorzuheben sind insbesondere der Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung, der voraussichtlich nach Vorbild Frankreich erfolgen soll. Supermärkte in ganz Österreich geben bereits jetzt nicht mehr verkäufliche, aber noch genießbare Lebensmittel an Tafeln und andere Sozialeinrichtungen weiter. Gesetzliche Regelungen wie in Frankreich und Tschechien, wo Lebensmitteleinzelhändler unter bestimmten Rahmenbedingungen gesetzlich verpflichtet wurden, überlagerte Lebensmittel an karitative Organisationen abzugeben, haben sich hingegen als weitgehend ineffizient und kontraproduktiv herausgestellt. Eine gesetzliche Haftungsbeschränkung von den Hilfsorganisationen - wie in Italien vorgesehen – sowie eine Klarstellung, wie steuerrechtlich mit gespendeten Lebensmitteln umzugehen ist, wäre eine sinnvolle Alternative.

Wenngleich sich die österreichischen Händler für eine Reduktion von Plastikverpackungen bereits verstärkt einsetzen und eine Vielzahl an Maßnahmen treffen, bezweifeln wir die Sinnhaftigkeit einer gesetzlichen Verankerung des Reduktionsziels von Plastikverpackungen um 20%. Der Einfluss bei der Art der Verpackung von Fremdmarken (großer Industriekonzerne) oder bei Konzernbestellungen ist naturgemäß sehr beschränkt. Wir werden deshalb den Fokus auf einen starken Einbezug der Industrie legen.

Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung über die gesamte Wertschöpfungskette in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den österreichischen Handelsunternehmen, mit Produzenten und karitativen Organisationen.

  • Evaluierung bestehender Gesetze und Fördersysteme.
  • Verbot des Entsorgens von genusstauglichen Lebensmitteln aus dem Lebensmitteleinzelhandel (Kaskadenmodell nach Vorbild Frankreich).
  • Maßnahmenpaket (z.B. finanzielle Anreize, Beseitigung rechtlicher Hindernisse etc.) für den Einsatz von Sekundärrohstoffen bei Industrie, Verpackungen (z.B. differenzierte Lizenzentgelte) und Baustoffen.
  • Österreichisches Kunststoffprogramm – Reduktion von Plastik weiter vorantreiben.
  • Konsequente Umsetzung der Europäischen Einwegplastikrichtlinie mit dem Verbot bestimmter Einwegprodukte.
  • Gesetzliche Verankerung des Reduktionsziels von Plastikverpackungen um 20%.
  • Gezielte Maßnahmen zur Reduktion von Einwegplastikverpackungen, u.a. forcierte Kooperation mit Handel, Gastronomie und Herstellern zur Reduktion von Einweggebinden.
  • Recyclierbarkeit als Produktionsvoraussetzung.
  • Einsatz von Recyclatanteilen in der öffentlichen Beschaffung.
  • Verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen inklusive konkreter Ziele für den Ausbau von Mehrwegsystemen, insbesondere auch für Getränkeverpackungen.
  • Maßnahmenpaket Reparatur (u.a. Forcierung freiwilliger Händlergarantien).
  • Forcierung von langlebigen, reparierbaren und wiederverwertbaren Produkten – Umsetzung und Weiterentwicklung der europäischen Ökodesignrichtlinie in Richtung Design for Recycling und Design for Reuse (Verhinderung geplanter Obsoleszenz). Z.B.: Lieferfähigkeit von Ersatzteilen sicherstellen, Reparaturfähigkeit.
  • Aktionsplan gegen Mikroplastik.
  • Prüfung eines Pfandsystems auf Batterien und Kleingeräte.
  • Verstärkte sortenreine Sammlung.
  • Preis- und Wettbewerbsvorteile, die durch ökologisch und sozial wenig verträgliche Produktion entstehen, müssen hinterfragt werden.
  • Umsetzung der EU-Recyclingvorgaben.

Landwirtschaft und Lebensmittel

Eine seriöse Klimapolitik setzt auf hohe Tierwohlstandards und lokale Produktion

Im Abschnitt „Landwirtschaft, Tierschutz & ländlicher Raum“ finden sich – wie bereits im Regierungsprogramm der letzten Regierung vorgesehen - Initiativen zur Herkunftskennzeichnung. Wir werden uns gezielt dafür einsetzen, dass sich der bürokratische Mehraufwand in Grenzen hält und auf Planungssicherheit und realistische Übergangsfristen geachtet wird.

Ebenso werden wir uns bei der Umsetzung der UTP-Richtlinie für eine 1:1 Umsetzung einsetzen und darauf pochen, dass der Anwendungsbereich nicht auf alle Lieferanten ausgedehnt wird. Bei der Etablierung einer Mediations- und Schlichtungsstelle zur Absicherung des fairen Wettbewerbs werden wir uns als ursprünglicher Initiator der Idee der Einrichtung einer Ombudsstelle (im Zuge der Selbstverpflichtungserklärung des Lebensmittelhandels) ebenso verstärkt einbringen.

  • Umsetzung eines durchgängigen freiwilligen Qualitäts- und Herkunftssicherungssystems für Direktvermarktungsbetriebe, Manufakturen und Gastronomie.
  • Regionale Herkunft der Lebensmittel als Qualitätskriterium in der Gastronomie verstärken sowie Initiative zur stärkeren Verbreitung der Herkunftskennzeichnung.
  • Verpflichtende Herkunftskennzeichnung der Primärzutaten Milch, Fleisch und Eier in der Gemeinschaftsverpflegung (öffentlich und privat) und in verarbeiteten Lebensmitteln ab 2021.
  • Bestehende Jahreskontingente für Saisonniers für die Landwirtschaft sollen bedarfsgerecht angepasst werden, unter Einhaltung aller arbeitsrechtlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen.
  • Verstärkter Absatz heimischer Lebensmittel im In- und Ausland durch konsequente Weiterverfolgung der österreichischen Lebensmittel- und Qualitätsstrategie (u.a. aktive Kommunikation der hohen Qualität und Produktionsstandards österreichischer Lebensmittel).
  • Rasche Umsetzung der EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UTP-EU RL).
  • Etablierung einer Mediations- und Schlichtungsstelle zur Absicherung des fairen Wettbewerbs im Rahmen der UTP-EU RL.
  • Förderung konkreter Projekte zur unmittelbaren Kooperation (z.B. Plattformen zum Direktbezug von regionalen Lebensmitteln).
  • Ziel einer 100% regionalen und saisonalen Beschaffung in Verbindung mit einer Bio-Quote von 30% bis 2025 und 55% bis 2030 bei Institutionen des Bundes.
  • Aktionsprogramm für den schrittweisen Ausstieg aus Gentechnik-Futtermitteln im Rahmen der österreichischen Eiweißstrategie.
  • Position zu Neuer Gentechnik – neue Gentechnik- Verfahren unterliegen den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen für Gentechnik (wie z.B. Kennzeichnungspflicht), Forschungstätigkeit zum Nachweis unterstützen.
  • Strengere EU-Kontrollen bei Importen aus Drittstaaten.

Fachkräfte & Europa

Der Handel ist mit einem immer stärker werdenden Personalmangel konfrontiert

Die Aufwertung der Lehre wäre ein wichtiger Schritt, um diese Entwicklung einzudämmen.

  • Aufwertung der Lehre (Lehre nach Matura fördern, Unterstützung der 2. Lehre, bessere Durchlässigkeit zwischen Lehre und anderen Bildungswegen).
  • Eine Steigerung der Qualität in der Lehre wird angestrebt. Dafür wird das bestehende System hinsichtlich Qualitätssicherung überprüft und bedarfsorientiert ergänzt.
  • Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR-Karte) reformieren.
  • Reform des EU-Wettbewerbsrechts im europäischen Interesse und zur nachhaltigen Stärkung der europäischen Wirtschaft.
  • Überprüfung und Anpassung des Kartellrechts auf europäischer und nationaler Ebene in Bezug auf das moderne Wirtschaftsleben.
  • Entwicklung einer neuen EU-Digitalstrategie mit gemeinsamen Schwerpunkten, in denen Europa künftig den globalen Fortschritt anführen und von anderen Akteurinnen und Akteuren unabhängig werden soll, z.B. künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Cybersicherheit.
  • Vollendung des digitalen Binnenmarkts: Im 21. Jahrhundert darf es keine Rolle mehr spielen, ob Käuferinnen bzw. Käufer und Verkäuferinnen bzw. Verkäufer in verschiedene EU-Ländern sitzen.
  • Einsatz für zeitgemäße europäische Regulierung – Überarbeitung der E-Commerce-Richtlinie.
  • Umsetzung der EU-Richtlinie zur Verbandsklage als Opt-in-Prinzip mit niederschwelligem Schutz gleichgelagerter Ansprüche vor Verjährung (solange Musterverfahren bei Gericht anhängig ist), Beibehaltung des Loser-Pay-Principles, Maßnahmen zur Sicherstellung eines niederschwelligen Zugangs (z.B. Beibehaltung der Möglichkeit der Prozessfinanzierung, Beibehaltung der Behelfslösung österreichischer Prägung inkl. des anwaltsfreien Zugangs) sowie Ausschluss der Bindungswirkung ausländischer Urteile.
  • Vermeidung von Rechtszersplitterung durch Integration von EU-Rechtsakten weitgehend in bestehende Gesetze (aktuell: EU-RL Waren und digitale Inhalte).

Kontakt

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.

Mag. Gerald Kühberger, MA
Communications Manager
gerald.kuehberger@handelsverband.at
+43 (1) 406 22 36-77