Veraltete Raumordnung kostet Österreich bis zu 6.800 Arbeitsplätze

Neue Studie belegt erstmals faktenbasierten Reformbedarf. Zusätzliche Bruttowertschöpfung von 493 Mio Euro möglich. Gesteigerte Konsumnachfrage würde bis zu 2.000 Arbeitsplätze allein im Handel schaffen.

Wien (OTS) – Eine neue Studie von Handelsverband, Initiative Wirtschaftsstandort OÖ und GAW Wirtschaftsforschung zeigt die "unsichtbaren Kosten" der Raumordnung im Lebensmitteleinzelhandel. So beträgt das Potenzial zur Kostensenkung im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) durch eine Optimierung und Modernisierung der Raumordnungen der Länder 323 bis 408 Millionen Euro. Könnte dieses Potenzial gehoben und in Form von Preisreduktionen an die Konsumenten weitergegeben werden, würde die gesteigerte Konsumnachfrage nach Berechnungen von Prof. Friedrich Schneider hierzulande eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von 395 bis 493 Millionen und eine Lohnsumme von bis zu 246 Millionen Euro ermöglichen.

In den 1970er Jahren entstanden in Österreich die ersten Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Damit wurde auch eine rechtliche Entwicklung angestoßen: Raumordnungsgesetze sollten die negativen Auswirkungen der EKZ – etwa die Schwächung der Ortszentren – in Grenzen halten. Im Laufe der Jahre wurden diese Regelungen immer restriktiver – zum Leidwesen der heimischen Handelsunternehmen.

Eine neue Studie analysiert erstmals im Detail die regional- und volkswirtschaftlichen Auswirkungen der neun unterschiedlichen Raumordnungen auf die Geschäftslokale des Lebensmitteleinzelhandels. "Der tiefgreifende Strukturwandel im LEH hat in den letzten 25 Jahren zu größeren Verkaufslokalen mit einem größeren Warenangebot geführt. Dadurch gelten heute für nahezu alle Geschäftsbauten des LEH weitgehende Standortrestriktionen, die in den Raumordnungsgesetzen festgelegt sind", erklärt Michael Mayrhofer, Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Linz und einer der Studienautoren.

"Solche Geschäftsbauten des LEH dürfen in manchen Bundesländern außerhalb von dicht bebauten Ortszentren nicht oder nur mehr sehr eingeschränkt errichtet werden. Das ist insofern problematisch, als Standorte in den Ortszentren heute oft aus betriebswirtschaftlicher Sicht ungeeignet sind", so Mayrhofer. Hinzu kommt, dass etwa die Raumanforderungen und die Betriebsweise moderner Geschäfte – von der Warenanlieferung bis zu den Emissionen durch Kühlaggregate – eine Einbettung in die Ortskerne keineswegs immer als Idealzustand erscheinen lassen.

Onlinehandel: Privilegierung ohne Grund

"Den Regelungen liegt das Bild des klassischen Nahversorgers in Gestalt eines fußläufig erreichbaren kleinen Lebensmittelgeschäfts zu Grunde, das es vor großen Einkaufszentren auf der grünen Wiese zu schützen gilt. Der Strukturwandel im LEH verlangt aber eine rechtliche Neubewertung", erläutert Dr. Kurt Pieslinger, Geschäftsführer der Initiative Wirtschaftsstandort OÖ. So sei denkbar, dass die Einschränkungen aufgrund der Veränderungen im LEH dem Grundrecht auf Erwerbsfreiheit sowie dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen. "Aktuell bieten nur wenige Bundesländer die raumordnungsrechtliche Möglichkeit zur Schaffung geeigneter LEH-Standorte", so das Fazit von Pieslinger.

Vor allem die konkreten Festlegungen einer höchstzulässigen Gesamtverkaufsfläche sind kritisch zu sehen – gegen diese ließen sich einige juristische Argumente anführen, etwa Konflikte mit dem Gleichheitsgrundsatz. "Das Korsett der Raumordnung ist ein Vierteljahrhundert alt und führt zu massiven Standortrestriktionen, die es dringend zu bereinigen gilt. Regelungen wie die Verkaufsflächenbeschränkung oder die Beschränkung auf Ortszentren verhindern immer häufiger, dass Geschäftsbauten für den LEH überhaupt noch errichtet werden können und konterkarieren das Ziel, die Nahversorgung sicherzustellen und Zentren zu erhalten. In zahlreichen Gemeinden in Tirol, Kärnten oder Niederösterreich werden dadurch de facto alle geeigneten Standorte rechtlich ausgeschlossen", bestätigt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes.

Gewonnen ist mit diesen Restriktionen jedoch nichts. Handelsbetriebe siedeln sich ungeachtet der Wünsche einer Raumordnung nicht im Ortszentrum an, wenn dies aus unterschiedlichen Gründen schlichtweg keinen Sinn macht.

Hinzu kommt: "Die Raumordnung privilegiert den Onlinehandel, und zwar ohne vernünftigen Grund. Denn dessen Auslieferungslager sind nicht von den Beschränkungen betroffen", so Will. "Der Online-handel boomt. Insbesondere in near-food und non-food Segmenten haben wir zweistellige Wachstumsraten. Durch die Raumordnung wird der Druck auf den stationären Handel noch verstärkt. Nicht ohne Grund treibt Amazon in diesen Wochen seine logistische Expansion in Wien voran.“

"Die Politik muss der Entwicklung im Handel gleich viel Aufmerksamkeit schenken wie der Entwicklung in der Industrie", fordert Pieslinger und ergänzt: "Der Föderalismus ist in vielen Fällen ein Wettbewerbshindernis." Hinsichtlich der Raumordnung gilt: Die Landesgesetzgeber verfolgen gleichartige Ziele – insbesondere die Erhaltung der Ortszentren und die Sicherung der Nahversorgung – jedoch mit teils erheblich divergierenden und äußerst komplexen Konzepten. Der Handelsverband und die Initiative Wirtschaftsstandort OÖ empfehlen daher eine sinnvolle Reform, welche mit einer grundsätzlichen Einigung der Bundesländer auf zeitgemäße Standards und einheitliche Definitionen ihren Ausgang finden könnte. Ein entsprechender Entwurf für eine Ländervereinbarung gemäß Art 15a B-VG findet sich ebenfalls in der Studie. Ausgehend von diesen Standards könnten einzelne Bundesländer durchaus neue Konzepte zur Stärkung der Ortszentren und Sicherung der Nahversorgung in Angriff nehmen. Mit raumordnungsrechtlichen Regelungen allein werden diese Ziele jedoch nicht zu erreichen sein.

Geringe Geschäftsflächen, hohe Kosten

Die Studie untersucht auch, wie hoch die "unsichtbaren Kosten" der Raumordnung sind. Immerhin erlauben die rechtlichen Regelungen den Unternehmen nicht, ideale Standorte zu errichten – sondern solche mit weniger Geschäftsfläche oder etwa speziellen Autoabstellplätzen. "Das führt für den LEH unmittelbar zu höheren Kosten und damit zu höheren Preisen der Produkte. Mit optimalen Geschäftslokalen könnten etwa die Personalkosten um 1,5 Prozent reduziert werden. Auch die Errichtungskosten neuer Standorte wären um rund ein Drittel geringer", bestätigt Friedrich Schneider, em. Professor für Volkswirtschaft an der Universität Linz.

Durch die unterschiedlichen Regelungen unterscheidet sich auch das Einsparungspotenzial in den Bundesländern. Besonders viel gewinnen könnte der LEH in Kärnten, Niederösterreich, Salzburg und Tirol, da in diesen Bundesländern die derzeitigen Gesetze die Schaffung idealtypischer LEH-Standorte nicht ermöglichen. "Insgesamt ergibt sich ein maximales Potenzial zur Kostensenkung von 408 Millionen Euro. Das sind immerhin rund zwei Prozent des österreichischen LEH-Umsatzes von knapp 20 Milliarden Euro", so Schneider.

Wegen der hohen Transparenz und des dadurch hohen Wettbewerbsdrucks im LEH ließe sich dieses Einsparungspotenzial eins zu eins in niedrigere Preise übersetzen und damit die Kaufkraft der Konsumenten erhöhen. Durch höhere Konsumausgaben könnten beachtliche volkswirtschaftliche Effekte die Folge sein. "So könnte bloß durch eine Neuregelung der Raumordnung die Bruttowertschöpfung um bis zu 493 Millionen steigen", bilanziert Schneider. "Damit könnten österreichweit fast 7.000 zusätzliche Vollzeitarbeitsplätze geschaffen werden, davon knapp 2.000 allein im Handel", ergänzt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

Aus verlassenden Gewerbeflächen neue LEH-Filialen machen und Nahversorgung sichern? Fast unmöglich.

Fazit: Das österreichische Raumordnungsrecht hat es nicht geschafft, den LEH – abgesehen vom Großraum Wien – in den Ortszentren zu halten, da dies betriebswirtschaftlich oft nicht mehr möglich ist. Die klassischen Lebensmittelhändler werden auch nicht mehr zurückkommen.

Darüber hinaus verhindert die Raumordnung, dass Standorte innerhalb wie außerhalb der Ortszentren weiterentwickelt werden können, wodurch diese zunehmen weniger relevant für den Konsumenten werden. In vielen Bundesländern, etwa Tirol oder Kärnten, ist es für den LEH extrem schwer geworden, bestehende, in die Jahre gekommene und oft nicht mehr wettbewerbsfähige Filialen entsprechend zu erneuern. Auch brachliegende Gewerbeflächen wie z.B. leerstehende alte Autohäuser dürfen oftmals nicht als LEH-Filialen genutzt werden, da die Raumordnung dies verhindert.

Es spricht aus heutiger Sicht nichts dagegen, die Entwicklung Richtung LEH-Filialen mit 1.000 m2 zu erweitern und eine ausreichende Nahversorgung auch in strukturschwachen Regionen über den stationären Handel sicherzustellen. Dadurch werden Ortszentren für die Bevölkerung wieder relevanter, gleichzeitig würde diese Maßnahmen, den beschäftigungsintensiven stationären Handel gegenüber dem wachsenden E-Commerce weniger angreifbar machen.

Über die Studie

Der Studienreport "Die unsichtbaren Kosten der Raumordnung im Lebensmitteleinzelhandel" kombiniert die zentralen Ergebnisse der juristischen Studie "Geschäftsbauten für den Lebensmitteleinzelhandel im Raumordnungsrecht des österreichischen Bundesländer" von Univ.-Prof. Dr. Michael Mayrhofer und der volkswirtschaftlichen Studie "Die unsichtbaren Kosten der Raumordnung im LEH" von Dr. Stefan D. Haigner, Mag. Stefan Jenewein und Dr. Florian Wakolbinger unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. DDr. Friedrich Schneider. Der Handelsverband und die Initiative Wirtschaftsstandort OÖ haben die Studie in Auftrag gegeben.

Die Executive Summary der Studie können Sie HIER kostenfrei downloaden!

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